*  29. Juni 1923

†  25. Oktober 2019

von Eric Lai

Essay

Künstlerisches Credo

In seinem Vortrag bei einem International Music Symposium in Manila 1966 erläuterte Chou Wen-chung seine Vorstellung von der Zukunft der Kunstmusik: »Es ist meine Überzeugung, dass wir jetzt ein Stadium erreicht haben, in dem sich der Beginn einer erneuten Vereinigung (re-merger) von östlichen und westlichen musikalischen Konzepten und Praktiken vollzieht. Mit ›erneuter Vereinigung‹ meine ich, dass ich glaube, die Traditionen der Musik des Ostens und des Westens hatten einst gemeinsame Ursprünge und verschmelzen jetzt, nach einem Jahrtausend des Auseinanderstrebens, miteinander, um die Hauptströmung einer neuen musikalischen Tradition zu bilden« (Chou 1968, 19). Diesen Gedanken begründete Chou mit der Beobachtung, dass westliche Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts begonnen hatten, auf ästhetische Vorstellungen und Techniken zurückzugreifen, die sich in Teilen der traditionellen ostasiatischen Musik finden, darunter die Akzentuierung des Einzeltons, das Prinzip der Heterophonie und die Betonung der Klangfarbe. Ziel dieses »re-merger« sei das »Zusammenfließen« (confluence) musikalischer Kulturen, das sich auf eine innere Form der Darstellung richte, und nicht eine »Beeinflussung« (influence), die sich nur äußerlich manifestiere. Die Verwirklichung dieser »neuen Weltordnung in der Musik, einer weltweiten Renaissance, die weder auf den Westen noch den Osten konzentriert ist,« könne nur ...

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